DAS LILIENTHALFENSTER

Das Fliegen blieb Otto Lilienthals Herzangelegenheit, auch als er schon ein erfolgreicher Berliner Ingenieur geworden war. Ein neuer Sport – ein Flugsport schwebte ihm vor. Nicht ohne Grund veranstaltete er seine äußerst fotogenen Flugvorführungen öffentlich, lieferten sie der Presse doch den Stoff für eine Sensation.

Lilienthal stand mit Flugpionieren und ‑technikern aus aller Welt in Kontakt. Voller Leidenschaft führte er seine Flugapparate vor und lud die, die wollten, ein, diese selbst auszuprobieren. Aber auch seine Vorträge, Publikationen und Korrespondenzen mit Fachleuten machten den Namen Lilienthal international bekannt.

Lilienthal war der Wegbereiter der modernen Luftfahrt. Für seine Nachfolger war Lilienthal ein Riese, auf dessen Schultern sie stehen und ihrerseits Pionierleistungen erbringen können.

Als den Brüdern Wilbur und Orville Wright 1903 der erste motorisierte Flug gelingt, berufen sie sich ausdrücklich auf das Lebenswerk von Otto Lilienthal. „Er war der größte unserer Vorläufer,“ sagten sie, „und die Welt steht tief in seiner Schuld.“

Otto Lilienthal sah in der Fliegerei einen künftigen Sport und den Schlüssel zum ewigen Frieden zwischen den Völkern. Sein Unfalltod machte ihn für viele zum Märtyrer, der sich für den Menschheitstraum vom Fliegen geopfert habe. Wie viele nach ihm soll der Pfarrer auf seiner Beerdigung bereits den Vergleich mit Ikarus gezogen haben. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden Lilienthal zahlreiche Denkmäler gesetzt. Aber leider blieben politische Vereinnahmungen nicht aus: Die Nationalsozialisten erkannten das propagandistische Potenzial, das in der Leistung Lilienthals lag. Sie missbrauchten seinen Namen und legten ihm den Ausspruch „Opfer müssen gebracht werden“ in den Mund.