Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst (1889)

DIE THEORIE

VOM EXPERIMENT ZUR KONSTRUKTION

Von Kindesbeinen an sind die Brüder Lilienthal davon überzeugt, dass es nicht den Vögeln allein vorbehalten ist, aus eigener Kraft zu fliegen. Vor allem Otto Lilienthal setzt alles daran, das in Theorie und Praxis zu beweisen. Um dem „Vogel die Kunst des Fliegens abzulauschen“ geht er systematisch und mit großer Ausdauer vor: Er setzt sich mit dem speziellen Körperbau der Tiere auseinander, studiert ihre Flugleistung, ihren Flügelschlag und das Fliegen-Lernen der Jungvögel. Den Weißstorch nennt er seinen "Lehrmeister", den er mit eigenen Versuchsgeräten zu simulieren sucht.

Was ist das Geheimnis des Flügels? Mit dem Rundlaufapparat versuchen die Brüder Lilienthal dieser Frage auf den Grund zu gehen und die Eigenschaften des Flügels physikalisch zu beschreiben. An diesem Gerät befestigen sie künstliche Flügel und bewegen sie durch die Luft. Auf diese Weise können sie mit unterschiedlichen Formen und Materialien experimentieren. Mit der Aufteilung der Kräfte am Flügel in eine hemmende und eine hebende Komponente entwickeln sie das bis heute gültige Konzept der Beschreibung von Flügeln durch Auftrieb und den Widerstand.

Technische Zeichnung des Rundlaufapparates, in: Otto Lilienthal, Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst (1889)

Modellflügel für Luftkraftmessungen, Otto Lilienthal, Wachs, 1888, Nachbau nach Originalen im Deutschen Museum

Otto Lilienthal, Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst (1889)
Mit den von ihm gebauten Versuchsapparaturen und seiner akribischen Arbeitsweise entwickelt Otto Lilienthal das sogenannte Polardiagramm der gemeinsamen Darstellung von Auftrieb und Luftwiderstand, auch Lilienthal-Polare genannt. Die Erkenntnis vom gewölbten Profil des Vogelflügels, der einer ebenen Fläche überlegen ist, gilt als Quintessenz von Lilienthals langjährigen Studien, die zur Voraussetzung seiner Flugexperimente wurden.
Polardiagramm der Luftkräfte Auftrieb und Widerstand. In: Otto Lilienthal, Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst, 1889

Zwei Jahrzehnte widmet Otto Lilienthal der Erforschung des Vogelfluges und seinen systematisch durchgeführten Experimenten. Erst nach sorgfältiger Prüfung und Wiederholung von früheren Messreihen veröffentlicht er sein Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“. Es ist allgemeinverständlich geschrieben und gilt zugleich als die wichtigste flugtheoretische Publikation des 19. Jahrhunderts. Neben zahlreichen technischen Zeichnungen enthält es auch ein Gedicht und ein Aquarell einer „kreisenden Storchenfamilie“ von Otto Lilienthal.

Der Vogelflug als Grundlage der Fliegerei. Ein Beitrag

zur Systematik der Flugtechnik. Auf Grund zahlreicher von O. und G. Lilienthal ausgeführter Versuche, bearbeitet von Otto Lilienthal, Berlin: R. Gaertners Verlagsbuchhandlung, 1889

Otto Lilienthal, Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst (1889)
Lilienthals Vorbilder sind die Störche. Da sie wie keine anderen großen Vögel die Nähe des Menschen suchen, sind sie Lilienthal zufolge geradezu prädestiniert, den Menschen das Fliegen zu lehren. Um sie möglichst genau studieren zu können, versucht er 1889 Störche auf dem Dach seines Hauses in Berlin anzusiedeln. Als das scheitert schafft er Jungstörche an, um ihren ersten Flugversuchen zuzusehen. Störche dienen Lilienthal als biologische Vorbilder für den Entwurf der Tragflächen seiner Flugapparate.
Otto Lilienthal: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst, 1889
Technische Zeichnung des „Modells Möwe“, in: Otto Lilienthal, Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst (1889)
Nach der Veröffentlichung seines Buches beginnt Lilienthal mit einem „Modell Möwe“ mit Stehversuchen und sprüngen von einem Sprungbrett im Garten seines Berliner Wohnhauses. Dabei bekommt er erstmals das Gefühl wie sein Körpergewicht in der Luft von den Flügeln getragen wird.
Entwürfe für Flugmodelle in: Otto Lilienthal: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst, 1889